Licht in die Blackbox – Die Datenspende von Dataskop startet
von Robert BehrendtWelche Videos empfiehlt der YouTube-Algorithmus unterschiedlichen Nutzer·innen zur Bundestagswahl? Das soll mithilfe der neuen Datenspende-Plattform „DataSkop“ untersucht werden, die von einem Forschungsverbund unter der Leitung von AlgorithmWatch entwickelt wurde. Dabei wird analysiert, welche personalisierten Empfehlungen und Suchergebnisse die Video-Plattform zu Themen der Bundestagswahl ausspielt. Sechs Wochen lang, vom 15. Juli bis zum 25. August 2021 können YouTube-Nutzer·innen ihre Daten spenden und selbst Einblicke in den Algorithmus gewinnen. Die Erkenntnisse werden noch vor der Wahl im September veröffentlicht.
Der Einfluss von Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube auf politische Debatten und Wahlkämpfe ist spätestens seit der US-Wahl 2016 ein viel diskutiertes Phänomen. Die verzerrenden Auswirkungen und potentiellen Gefahren für demokratische Prozesse sind jedoch noch zu wenig erforscht. Die automatisierten Entscheidungssysteme, die bestimmen, was Nutzer·innen sehen, sind intransparent und Social-Media-Unternehmen gewähren kaum Zugang für Forschende. Datenspenden von Nutzer·innen haben sich darum als sinnvolle Methode etabliert, um die Funktionsweise algorithmischer Systeme zu untersuchen.
Das neue Datenspende-Projekt der Europa-Universität Viadrina, der Fachhochschule Potsdam, der Universität Paderborn, von AlgorithmWatch und uns, dem Verein mediale pfade, analysiert die Personalisierungen durch das Empfehlungs-System der Video-Plattform YouTube während des Bundestagswahlkampfs. Durch die Informationen von Nutzer·innen darüber, welche Videos sie bisher gesehen haben und welchen Kanälen sie folgen, lassen sich Zusammenhänge und Muster zwischen Nutzungsverhalten und dem Empfehlungs-Algorithmus erkennen.
„Angesichts der vielen politischen Videos auf YouTube und der anstehenden Bundestagswahl ist es gerade jetzt besonders wichtig, Licht in die Black-Box-Algorithmen dieser Systeme zu bringen, um zu verstehen, wie sie Empfehlungen, Bewertungen und Entscheidungen berechnen“. So Lorenz Matzat von AlgorithmWatch. Die zu analysierenden Suchbegriffe werden dabei regelmäßig angepasst, sodass die DataSkop-Software die neuesten Entwicklungen der politischen Debatte berücksichtigen kann.
Alle mit einem YouTube-Konto können ab dem 15. Juli den DataSkop-Client herunterladen und nutzen. Zunächst sammelt dieser die Daten auf dem eigenen Rechner und ermöglicht Nutzer·innen erstmals, ihre Daten selbst zu sehen, bevor sie diese spenden. In interaktiven Experimenten und mithilfe von Visualisierungen – im Detail, wie unter einem Mikroskop oder aufgefächert wie in einem Kaleidoskop – können Nutzer·innen erkennen und verstehen, welche Spuren sie bei der Interaktion mit digitalen Angeboten hinterlassen und was die dabei anfallenden Daten wertvoll und interessant macht.
Die gespendeten Daten werden dann von Wissenschaftler·innen der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) und von Datenjournalist·innen von Der Spiegel ausgewertet. Noch vor der eigentlichen Bundestagswahl Ende September 2021 sollen erste Erkenntnisse aus den Daten veröffentlicht werden. Die Open-Source-Plattform DataSkop wird ab 2022 anderen Forschungseinrichtungen, NGOs und Redaktionen für weitere Datenspendeprojekte zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus stellt ein Workspace, der im Herbst 2021 veröffentlicht wird, eigens entwickelte Methodensets für den Einsatz im außerschulischen Bereich zur Verfügung. Diese Angebote richten sich an Jugendbildungsstätten und -veranstaltungen, Jugendmedien- und -kulturzentren, Freiwilligendienste oder auch den sozialpädagogischen Bereich im offenen oder gebundenen Ganztag an Schule. Die Methodensets nutzen vor allem explorative und spielbasierte Lernansätze der aktiven Medienarbeit und fokussieren auf altersheterogene Lerngruppen zwischen 16 und 21 Jahren. Ziel ist eine reflektierte Auseinandersetzung mit algorithmischen Entscheidungs- und Empfehlungssystemen, um die Aufmerksamkeit der jugendlichen Zielgruppen für solche Anwendungen in ihrem alltäglichen Mediennutzungsverhalten zu erhöhen. Die Lernangebote für den außerschulischen Bereich verstehen sich darum vor allem als Türöffnermethoden zu einem hochkomplexen Themenfeld, dessen gesellschaftliche Auswirkungen bislang kaum absehbar sind. Darum werden die Materialien als Open Educational Ressources (OER) im Workspace von DataSkop veröffentlicht. Sie umfassen Methodenbeschreibungen, digitale Werkzeuge und thematische Handreichungen und ermöglichen die frei lizensierte Weiterverwendung und kontinuierliche Weiterentwicklung. So sollen auch Lehrkräfte und Fachkräfte der politischen, kulturellen und Medienbildung über die angebotenen Materialien und Workshops mit dem Thema vertraut gemacht werden, um in Schule und außerschulisch eigenständig Lerneinheiten zum Thema automatisierte Empfehlungssysteme und Maschinenlernen umsetzen zu können.
Mehr Informationen finden sich auf der Webseite der Plattform: http://dataskop.net
Für Rückfragen oder Interviews zu pädagogischen Fragen:
Robert Behrendt |
Daniel Seitz |