Drachen, Menschen, Diskrepanzen
von Sophie LeubnerVon der scheinbaren Kluft zwischen Erwartung und Realität in der politischen Medienbildung für Kinder und Jugendliche
“Kinder haben das Recht, bei allen Fragen, die sie betreffen, mitzubestimmen und zu sagen, was sie denken.” sagt eines der wichtigsten Kinderrechte. “Was soll die Scheiße mit dem Streit im Chor, weiß ich doch nich’! – sagt Milan*, 12 Jahre.
Vor wenigen Wochen fand im JugendKulturZentrum PUMPE mit etwa dreißig Sechstklässler*innen erstmals eine Durchführung unserer Methode Drachen, Menschen, Kinderrechte statt.
Das im Zuge des re:mix-Projektes entstandene Spiel beinhaltet drei analoge und drei Augmented-Reality-Technologie-basierte Stationen (kurz AR), in denen 9-12-Jährige spielerisch etwas über ihre zehn wichtigsten Rechte erfahren. Über Monate hinweg haben dafür verschiedene Menschen ihre Köpfe zusammengesteckt, Ideen ausgetauscht, weiterentwickelt, verbessert und redigiert. Hinter der Ziellinie liegt die Fertigstellung eines Spiels, in dem die Kinder das erworbene Wissen über Kinderrechte auf ihre eigene Lebenswelt übertragen … Hoffentlich.
Die Vision: eine lebendige Szene vor dem inneren Auge, wie Milan Drachen, Menschen, Kinderrechte spielt, dort etwas über sein Recht auf Schutz der Privatsphäre und Würde lernt, im Anschluss nach Hause geht und sich mit seinen Schutzbefohlenen ruhig und sachlich darüber unterhält, ob es nicht langsam mal Zeit für ein eigenes Zimmer sein könnte; oder wie Milan in der Dorfkarte von “Chorlandia” einzeichnet, wohin die Chorlandianer*innen gehen können, wenn jemand gemein ist, und dann darüber nachdenkt, wo er eigentlich hingehen kann, wenn jemand gemein ist, um so von seinem Recht auf Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung Gebrauch zu machen. Solche Visionen treiben an.
Doch sichtbare Aha-Momente bei den Kindern bleiben in der Regel aus. Wir erfahren oft nicht, wie viel der Theorie tatsächlich bei ihnen durchdringt und schon gar nicht, was sie später vielleicht daraus machen. Denn Erfolge freizeitpädagogischer Methoden – insbesondere bei einmaliger Durchführung – sind so schwer mess- oder gar quantifizierbar. Reizvoll ist deshalb von Zeit zu Zeit der Gedanke eines umfangreichen Ankreuzbogens, der den Kindern nach dem Spielen dargereicht wird, um ihren Zugewinn an sozialen Kompetenzen zu messen …
- “Weißt du jetzt mehr über Kinderrechte als vorher? – ja/nein”.
- “Bist du jetzt ein besserer Mensch? – ja/nein”.
- “Wie wahrscheinlich ist es, dass du Drachen, Menschen, Kinderrechte Freund*innen empfehlen würdest?” – Kreuze an, auf einer Skala von 1 bis 10”.
Aber wann wäre ein guter Zeitpunkt für den Fragebogen? Direkt im Anschluss an die 90 Spielminuten? Nach 4 Jahren, wenn alles sacken konnte? Kurz vor dem Schulabschluss? Und schreiben Kinder genau dort nicht irgendwie bereits genug Tests?
Deshalb müssen wir es manchmal als Erfolg verbuchen, wenn sich niemand unter unserer Aufsicht an einer Spielkarte geschnitten oder beim Umherrennen die Nase gebrochen hat. Und das ist okay. Denn solange die Chance besteht, dass Milan dank der “Scheiße mit dem Chor” für seine Rechte, oder die von einem anderen Kind einsteht, haben wir Lust weiter zu machen.
*Name geändert
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