Kongress „Keine Bildung ohne Medien“
von Daniel SeitzAm 24./25.3. fand der Kongress „Keine Bildung ohne Medien“ der gleichnamigen Initiative statt. Viele namhafte Institutionen – die Erstzeichner des „medienpädagogischen Manifest“ – richteten den Kongress aus.
Es gab im Laufe des letzten Jahres irgendwann den Moment, als jeder das Gefühl hatte, dort sein zu müssen. Ich habe viele einzelne Personen gefragt, leider geht es allen so wie mir. Keiner kann diesen Moment mehr festmachen, weder an eine Zeit noch ein Ereignis. So waren also 450 Teilnehmer zustande gekommen, den Tagungsorganisatoren gelang es, diesem großen – und vermutlich unerwarteten – Zuspruch gerecht zu werden und mehrfach aufzustocken.
Eine politische Botschaft.
Eine politische Botschaft sollte der Kongress sein. Ein Zeichen, hier sind wir, wir sind organisiert und einig, dass Bildung nicht mehr ohne Medien stattfinden darf. Dafür sollte der Kongress stehen. Und die Politik sollte kommen, diese Botschaft aus erster Hand wahrzunehmen. Mehr als ein Jahr, so die Veranstalter wurde dafür sorgfältig vorbereitet. Nur: das Tagungsziel wurde verfehlt. Letztlich nicht ein relevanter Politiker, den es zu überzeugen galt, erschien. Ein paar wenige Ministeriumsmitarbeiter, die auf die Podien gesetzt wurden, gingen ihrer Arbeit nach. Selbst der Vorsitzende der #EIDG-Arbeitsgruppe „Medienkompetenz“Thomas Jarzombek musste kurzfristig absagen. Und Presse schlug leider auch nicht oder kaum auf. Das ist umso bitterer als die parallel stattfindende Wikipedia-Konferenz es in die Tagesschau geschafft hat. Ohne in diesem Zusammenhang die alte Relevanz-Diskussion aufmachen zu wollen: Wir müssen uns schon fragen (lassen), warum es eine kleine, sehr spezielle Tagung in die öffentliche Wahrnehmung schafft, während die durch ein breites gesellschaftliches Bündnis getragene Veranstaltung nicht ins öffentliche Bewusstsein rückt. Welche und ob hier Fehler gemacht wurden, kann ich nicht einschätzen, aber eine intensive Auswertung dieses zentralen Punktes fände ich doch sehr angemessen.
Inhaltliche Ausrichtung
Jeder Anreisende kannte das Programm und so gut wie niemand, mit dem ich gesprochen hatte, war wegen des spannenden Programms auf der Konferenz. Ich fuhr also nicht mit hohen inhaltlichen Erwartungen nach Berlin, es war eine wunderbare Gelegenheit viele KollegInnen zu treffen und zu Netzwerken. Während der Konferenz stellt man dann aber doch immer stärker fest, das etwas nicht stimmt. Die Teilnehmerliste zeigt sehr deutlich, das wir weitestgehend „unter uns“ sind und somit ellenlange Grußworte, die nicht den Teilnehmern sondern vielmehr den Sprechern und deren Organisationen dienen, schlichtweg fehl am Platz sind. Eine einstündige Rede zu Allgemeinschauplätzen, der es nicht mal gelingt – das wäre wirklich mein minimaler Anspruch an so eine Rede – einen positiven Moment bei den Zuhörern zu erzeugen, „Ja, wir sind die Initiative“, „Ja, wir können und wollen etwas gemeinsam erreichen“, könnte man sich (fast) komplett sparen. Stattdessen bedrückendes Schweigen und eine breite Schwere bei den Zuhörern. Wenn sie die Zeit nicht besser genutzt haben. Man darf nicht vergessen, das 450 Stunden geballte medienpädagogische Kompetenz brachlagen. Man kann Zeit besser Nutzen, wenn man denn möchte.
Die Arbeitsgruppen waren für viele, die jetzt schon ein Stück desillusioniert waren, der Lichtblick. Tatsächlich gelang es dann auch einigen (allen?) Arbeitsgruppen, nach unterschiedlich langer Anlaufzeit bzw. doch wieder Einstiegsmonologen, zu arbeiten. Und sehr ansehnliche Arbeitsergebnisse zu produzieren.
Man stelle sich mal vor, man hätte auch den zweiten Tag genutzt, um effektiv zu arbeiten, statt (in meinen Augen) langweiliger Podien, in denen wir uns gegenseitig erzählen, was wir eh schon wissen. Podien wären ein gutes Instrument gewesen, um bei Politikern bestimmte Themen ins Bewusstsein zu bringen. Wenn diese aber nicht Anwesend sind, ist es mir unklar, warum Veranstalter nicht darauf reagieren und ein besseres Programm stricken, dass all die versammelte Kompetenz aufgreift. Nochmals die Rechnung – wären die vier Stunden Podium besser genutzt worden, wären 1800 Stunden geballte Medienpädagogische Kompetenz frei geworden. Wir sprechen hier von keiner Kleinigkeit!
Ich denke, wenn es den Veranstaltern gelungen wäre, schon von Anfang an eine moderne Tagung zu konzipieren, die nicht klassischerweise ein paar wenige Experten in den Vordergrund stellt, während sie hunderte in die Schweigsamkeit verbannt, ohne ihre Kompetenzen ernst zu nehmen, wäre eine so große Unzufriedenheit bei einigen (ein paar wenigen?) gar nicht erst entstanden. Vermutlich hat auch zu dem Eindruck dieser krasse Gegensatz aus dem erst ein paar Tage zuvor erlebten Educamp in Bremen beigetragen. Dort zu erleben, wie hunderte Lehrende völlig natürlich mit digitalen Medien im Unterricht und Bildung umgehen, sich austauschen zu wirklich allerneuesten Themen wie „Tabletts im Unterricht“ „Social Media Guidelines an Universitäten“ usw., dies alles ausführlich online dokumentieren, kommentieren, weiterentwickeln, sich intensiv miteinander vernetzen usw. Und im Gegensatz dazu, die Konferenz „Keine Bildung ohne Medien“, die – kurz ausgeführt – schlichtweg das nicht einlöst, was sie einfordert.
Eine perfekte Organisation, die an alles denkt, was mit alten Medien zu tun hat. Zu beeindrucken weiß, weil der Tagungsband schon weit vor der Konferenz auf dem Schreibtisch lag. Perfekte Abläufe bietet, Tagungsmappen, Schildchen, Verpflegung, alles vom feinsten, alles wunderbar (an dieser Stelle großes Lob!). Und alles, was sich um digitale Medien drehte, völlig vergass. Man kommt in einen riesigen lichtdurchfluteten Raum, um erstmal eine viel zu kleine, dann gar keine Beamer-Leinwand vorzufinden. Stattdessen leuchtet ein kleines verirrtes „Kein Signal“ nur zufällig eine Säule aus. Das W-LAN funktioniert nicht, das wird sehr schnell klar, aber löst sich über zwei Tage nicht auf. Man hatte nicht den Eindruck, als wäre das jemandem wichtig. Den Meinungen der nicht auf die Bühne gesetzten in Form von Twitter-Walls oder ähnliches Raum zu geben, wurde ebenso verpasst. Die Nutzung digitaler Medien im Publikum war eher Ausnahme als Regel, z.T. sogar begleitet mit spöttischem Blick. Oder sogar kritisiert durch einen „externen Beobachter“, der beleidigt feststellt, dass manch einer von seinen Geräten abgelenkt wäre. Eine Konferenz, die das nicht einlöst, was sie einfordert.
Die Zeiten sind gut
Letztlich leben wir gerade in guten Zeiten. Eine – vermutlich – nie dagewesene Vernetzung der Szene von Praxis bis Forschung im deutschsprachigen Raum, auf die wir zurück greifen können. Eine GMK im Aufbruch, mit jungen motivierten Vorstandsmitgliedern, die erkennen, das es Veränderung bedarf und diese unterstützen und vor allem zulassen können. Ein Wandel an den Unis, mit jungen, hoch kompetenten Forschern, denen es gar nicht einfällt, in die Fußstapfen der „alten großen Namen“ (weil man es nicht lesen kann: mit großem Respekt ausgesprochen) zu treten. Große Institutionen, die ihren Wandel intern schon längst vollzogen haben und dies jetzt auch sichtbar machen (JFF, das Praxis und Forschung gleich kompetent betont durch Kathrin Demmler und Ulrike Wagner) usw. Und viel besser noch: Fern von Institutionen und deren Behäbigkeit entstehen permanent an allen Ecken und Enden schöne Initiativen, Zusammenschlüsse, Kooperationen – das Medienpädagogik-Praxisblog steht z.B. dafür.
Die Initiative „Keine Bildung ohne Medien“ könnte ebenso eine sein, wenn es ihr gelingt, breiten Zuspruch zu finden und die Unterstützer ernst nimmt. Das geht damit los, eine Kampagne nicht zu zentralisieren. Das nimmt heute niemand mehr ernst, schon gar nicht, wenn parallel das GMK-Forum zu Partizipation vorbereitet wird.
„Keine Bildung ohne Medien“ 2.0
Wenn unter einer Tagung GMK steht, wenn da JFF steht, dann habe ich hohe Erwartungen an Qualität. Die ist bislang nie enttäuscht worden und auch diese Konferenz ist geschenkt, wenn daraus etwas besseres entsteht.
Welche Chancen in digitaler (Micro-)Kommunikation steckt, ist mir wieder einmal bewusst worden, als es uns gelungen ist, 15 Menschen, die sich größtenteils vorher nicht kannten, zu einer parallelen Veranstaltung zusammen zu bringen.
Während der Arbeitsgruppe entstand mit Thomas Bernhard, „Vater der Educamps“, die spontane Idee, am Freitag parallel zu den Podien, ein Barcamp auszurichten. Eike (@medienpaed) und Kerstin (@quergedanken) waren spontan dabei, die Message verbreitete sich per Twitter und 15 Frau/Mann – davon hatte ich mit mehr als der Hälfte vorher nie ein Wort gewechselt – machten sich auf zum Starbucks. Die können neben der Grundversorgung mit Kaffee auch eine Grundversorgung mit W-LAN.
Daraus entstanden zum einen eine ausführliche Kritik an die Veranstalter, zum anderen nutzten wir unsere realen Beteiligungsmöglichkeiten, um unsere Forderungen bei der Beteiliungsplattform der Enquete-Kommission einzureichen bzw. diese vorzubereiten..
Ich bin mir sicher, dass all die, die zum Teil heftige Kritik am Kongress geäussert haben, auch bereit sind, sich zu einer Weiterentwicklung der Initiative einzubringen.
Ich stelle mir gerade einen Kongress 2.0 vor, zu dem sich all die, die jetzt bereit waren, an einer klassischen Konferenz teilzunehmen, jetzt an einer Un-Konferenz, einem sogenannten Barcamp, zusammen finden. Immer mehr Medienpädagogen schlagen bei Educamps auf und uns sollte es eigentlich auch gelingen, dass die Educamper auf unseren Veranstaltungen aufschlagen (Thomas Bernhard und Guido Brombach waren z.B. da, @gibro´s Kritik zum Kongress gibt es hier).
Oder wir schaffen es, ein gemeinsames Barcamp auf die Beine zu stellen, dass sich ganz im Sinne beider „Initiativen“ der Bildung mit (digitalen) Medien verschreibt.
Dazu erwarte ich mir aber eine breite Unterstützung genau der Veranstalter, die sich letztes mal für ein klassisches Format entschieden haben. Ich erwarte mir auch, dass sich die KollegInnen aus der Forschung auf so ein Experiment einlassen. Ja, letztlich erhoffe ich mir, das im wesentlichen die Teilnehmer aus der letzten Veranstaltung plus die „Educamp“-Szene zusammen etwas neues gestalten.
Eine ähnlich sorgsame Vorbereitung der Tagung, die vor allem Methoden der Weiterentwicklung der Initiative und möglichst breite Beteiligung aller Unterstützer in Blick nimmt, wären für mich noch Startvorraussetzungen.
Ich wäre dabei. Was meint ihr?
(Update: 23:30: Um Links ergänzt, mehr Reaktionen zum Kongress hier)